Nachruf auf Luigi Fucentese


Luigi Fucentese  *15. 10. 1941 bis 12. 9. 2024
Luigi Fucentese *15. 10. 1941 bis 12. 9. 2024

Da steht er, inmitten seiner Kollegen, die roten Fahnen wehen, er grüsst nach links, nach rechts, kennt die Leute mit Namen. Luigi Fucentese ist auch im Alter von beinahe 83 Jahren präsent am 1. Mai in Winterthur. Wie jedes Jahr. Jahrelang war er als einfacher Helfermit dabei. Immer bescheiden, anpackend. Er war eine der prägenden Figuren der italienischen Gemeinde in Winterthur, seit er 1961 in die Schweiz gekommen ist. Sein Leben hat er den Migrant:innen gewidmet, hat Selbsthilfeorganisationen mit  aufgebaut oder geprägt, Bildungseinrichtungen gegründet. Am 12. September stirbt er unerwartet in der Wohnung, in der er mit seiner Frau Isella lebt. Ein grosser Verlust – für seine Frau, die Familie, für die Migrant:innen nicht nur in Winterthur, sondern der ganzen Schweiz. Und auch für die Gewerkschaften, die SP, in der er Mitglied war, obwohl er sich nie einbürgern liess. «Sono italiano».

 

Luigi stammt aus Torre Annunziata in der Nähe von Neapel, wo er am 15. Oktober 1941 geboren wird. In eine einfache Familie, seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater «mastro pastaio», Nudelmeister, in einer der vielen Teigwarenfabriken der Umgebung. Luigi macht eine Ausbildung zum Metallbaukonstrukteur. In Mailand kann er ein Weiterbildungsprogramm absolvieren, das auch von der Firma Sulzer aus Winterthur unterstützt wird. Der Fachpersonenmangel ist damals in der Schweiz gross, und die grossen Firmen suchen verzweifelt in Italien. So kommt Luigi 1961 nach Winterthur. Er bildet sich weiter und wird Heizungsanlagentechniker. Bis zu seiner Pensionierung 2003 bleibt er Sulzer treu.

 

1967 trifft er Isella, die für Ferien in der Schweiz weilt. Zwei Jahre später heiraten sie, haben zwei Kinder, Monica und Sandro, die beide studieren und heute in leitenden Positionen tätig sind. Isella unterstützt Luigi in seinem sozialen Engagement für die Migrant:innen. Die bekannteste Institution, die Luigi mitbegründet, ist die Ecap, heute die zweitgrösste Institution für Erwachsenenbildung der Schweiz. «Bildung ist der Schlüssel zur Integration», sagt Luigi und so zieht sich sein entsprechendes Engagement wie ein roter Faden durch sein Leben. Eine Aufzählung aller Organisationen in denen er tätig ist, sprengt den Platz hier. Isella ist mit dabei und während mehr als 30 Jahren bei Ecap tätig, u.a. als Geschäftsleiterin. Untrennbar mit dem sozialen Engagement verbunden ist das politische. Er ist Mitglied der Gewerkschaft Smuv (heute Unia), er gründet eine Sektion des Partito Socialista Italiana, ist Mitglied der SP Winterthur. Bei den verschiedenen Anläufen für ein Ausländer:innenstimmrecht engagierte er sich stark. Und er ist eine prägende Figur im Winterthurer Ausländerbeirat. Er präsidiert die Societa Cooperativa Italiana, die heute noch die Copi-Bar an der Merkurstrasse führt. Für seine Verdienste wird er bereits 1992 zum Ritter der italienischen Republik ernannt.

 

Über 20 Jahre führt Luigi einmal wöchentlich einen konsularischen Schalter in der Alten Kaserne in Winterthur, wo er seine Landsleute im Verkehr mit den italienischen und schweizerischen Ämtern unterstützt. Hilfe zur Selbsthilfe ist auch hier sein Motto, dem er ein Leben lang folgt. Zum letzten Mal am 11. September 2024, einen Tag vorseinem Tod.

 

Mit seiner Empathie, der humanistischen und sozialen Haltung ist Luigi Fucentese ein Kontrapunkt zu den ausländerfeindlichen Kreisen und Bewegungen, welche sein Leben auch begleiten und die Gesellschaft vergiften – von der Nationalen Aktion mit ihrem Anführer Schwarzenbach in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bis zu Christophs Blochers SVP in den letzten 30 Jahren.

 

Luigi Fucentese ist auch Protagonist in Samirs neuestem Film «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer». Zu sehen aktuell im Kino Cameo auf dem Winterthurer Lagerplatz am 29.9/2.10 und 14.10. Details/Tickets: kinocameo.ch

 

Matthias Erzinger