Die Westtangente: Das Provisorium ist Geschichte

Der umfassende Rückblick von Erich Willi auf die unseelige Geschichte der Westtangente und den nie versiegten Widerstand gegen diese. Gipfelnd in der geplanten 50-Stunden-Sperrung zum 50. Jubiläum am 23.-25. September.

In der Gemeindeabstimmung vom 25.09.1988 lehnten die Stimmberechtigten der Stadt Zürich die «Volksinitiative für einen Rahmenkredit von 8 Millionen Franken zur Reduktion der Westtangente auf zwei Fahrspuren» auf Antrag von Gemeinde- und Stadtrat mit 67 Prozent Nein ab. (Quelle: Rosengartenstrasse, Tiefbauamt der Stadt Zürich)
In der Gemeindeabstimmung vom 25.09.1988 lehnten die Stimmberechtigten der Stadt Zürich die «Volksinitiative für einen Rahmenkredit von 8 Millionen Franken zur Reduktion der Westtangente auf zwei Fahrspuren» auf Antrag von Gemeinde- und Stadtrat mit 67 Prozent Nein ab. (Quelle: Rosengartenstrasse, Tiefbauamt der Stadt Zürich)

Die Westtangente verknüpft seit 50 Jahren die Autobahnenden in Zürich-Nord (Milchbuck), in Zürich- West (Pfingstweidstrasse) und Zürich-Süd (Sihlhölzli) miteinander. Provisorisch, weil die damaligen Pläne die Weiterführung der Autobahnen und deren Verknüpfung am Platzspitz vorsahen: das berühmte Ypsilon.

Die Funktion der Westtangente war also die Kanalisierung des wachsenden Durchgangverkehrs von und zu den Autobahnen auf eine Achse und damit die Entlastung anderer Strassen, wie Stadtingenieur Bernath am Tunnelfäscht vom 30.9. – 1.10.1972 zur Eröffnung des Bucheggtunnels erläuterte. Bereits kurz nach der Eröffnung dieses wichtigen Teilstücks der Westtangente realisierten die Anwohnenden, mit welchen Immissionen deren Betrieb verknüpft war: Gestank, Lärm und Zerschneidung der Quartiere sind ab den frühen siebziger Jahren bis heute die Themen.

Die eindrücklichen Filmausschnitte (Antenne, 02.10.1972) zeigen die Funktion der Westtangente, Minute 7.40; die Belastung der Anwohnenden, Minute 9.45; Serviertochter des Café Erika stolpert über die Westtangente, Minute 11.3.

Planungen und Protest

Damit sind die Themen zur Westtangente gleich von Beginn an für die nächsten 50 Jahre gesetzt: Einerseits planerische Bemühungen zur Verbesserung der Situation (vgl. auch Kasten zur Chronologie). Sie haben zu verschiedenen Volksabstimmungen geführt, alle mit deutlich negativem Resultat. 1988 ist die im Hinblick auf die Eröffnung der Nordumfahrung lancierte Westtangenten-Initiative des VCS mit 67% Nein abgelehnt worden. Sie sah die Umgestaltung von 4 auf 2 Spuren zwischen Wipkinger- und Bucheggplatz vor. 2010 votierten über 60% gegen die Volksinitiative und den Gegenvorschlag des Gemeinderates für ein Tram und den Abbau des Autoverkehrs und schliesslich lehnten 2020 63% das 1,1 Milliarden teure Kombiprojekt Tunnel plus Tram ab.

Anderseits fanden bereits ab 1972 Protestaktionen gegen die «Pesttangente» (SP) statt. 1974 sperrte die Quartiergruppe «Westtangente» die Rosengartenstrasse erstmals, zwischen 1985 und 1987 wendete sich der Kur- und Verkehrsverein Wipkingen mit dem Tangentenbrecher und einer Petition gegen die offizielle Verkehrspolitik, 1997 fand die Aktion «25 Stunden Ruhe auf der Westtangente» verknüpft mit 25 Forderungen des VCS statt. 2003 wurden mit einer erneuten Sperrung 31 Jahre Provisorium ‘gefeiert’, ab 2007 koordiniert die IG WesttangentePlus die Aktivitäten und sperrte diese am 9.5.2009. Die erneute Sperrung vom 23. – 25. September 2022 soll aus naheliegendem Grund 50 Stunden dauern!

Selbstredend waren und sind diese Aktivitäten mit zahlreichen parlamentarischen Vorstössen auf Gemeinde- und Kantonsebene verknüpft.

Umbau der Westtangente zur Stadtstrasse

Die drei Volksabstimmungen zeigen: Weder Grossprojekte noch einfache Reduktionslösungen finden Mehrheiten. Auch der Tramtraum ist ausgeträumt. Da in diesen Tagen das Ypsilon aus dem Nationalstrassennetz gestrichen wird – der Westast Pfingstweidstrasse–Platzspitz und der Südast Sihl- hölzli–Platzspitz – ist auch klar, dass es sich bei der Westtangente nicht mehr um ein Provisorium handelt, das bei Ersatz durch das Ypsilon zurückgebaut werden kann. Vielmehr geht es nun darum, diese innerstädtische Hochleistungsstrasse an Ort und Stelle so zurückzubauen, dass sie als Stadtstrasse betrieben werden kann und den Anforderungen aus Anwohner- und Umweltsicht wie auch aus Verkehrssicht genügt.

Im Nachgang zur Abstimmung zum Tunnel-/ Tramprojekt vom Februar 2020 sind parlamentarische Vorstösse eingereicht worden. Sie fordern Sofortmassnahmen ebenso wie längerfristige Perspektiven. Zudem hat eine Gruppe von RosengärtnerInnen in einem Hochparterre-Sonderheft Vor- stellungen skizziert, «wie eine Autobahn quer durch Zürich umgebaut werden muss, und warum Stadt, Klima und Verkehr nur mit weniger Autos eine Zukunft haben». Die schrittweise Umwandlung der Westtangente zur Stadtstrasse umfasst folgende wesentlichen Punkte:

  • Reduktion des Verkehrsaufkommens von heute knapp 60 000 pro Tag auf rund 30 000 (Rigiplatz weist gut 30 000 Fahrzeuge pro Tag auf). Angesichts der ab 2025 mit 6 statt 4 Spuren betriebenen Nordumfahrung kann dies auch als flankierende Massnahme dazu interpretiert werden:
  • Tempo 30 statt 50
  • Gesicherte à Niveau-Übergänge für den Fuss- und Veloverkehr an 3 – 4 Orten
  • Reduktion von 4 auf höchstens 3 Fahrspuren und Umnutzung der freiwerdenden Fläche zugunsten Begrünung und Veloverkehr
  • Umbau des Bucheggplatzes zu einem Fussgän- gerbereich gemäss Richtplan inkl. direkter Führung der Buslinien

Die Punkte 2 und 3 befinden sich bei der Stadt in Vorbereitung und sollen bald realisiert werden. Die Punkte 1, 4 und 5 brauchen mehr Vorlaufzeit und lassen sich erst mittelfristig umsetzen (ab 2025).

Die Zeichen stehen wohl so gut wie noch nie, dass endlich ein Prozess der schrittweisen Verbesserungen und Entlastungen entlang der Rosengarten- und Bucheggstrasse angestossen werden kann.

 

 

 

 

Die Stimmberechtigten der Stadt Zürich lehnten am 28.11.2010 die
Die Stimmberechtigten der Stadt Zürich lehnten am 28.11.2010 die "Volksinitiative Rosengarten-Tram" mit 65 Prozent Nein ab.

Chronologie

(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

 

  • 12.12.1965 Annahme des Projekts Westtangente mit ca. 40 000 Ja gegen ca. 12 000 Nein
  • 1972 Eröffnung der Westtangente; knapp 40000 Fahrzeuge/Tag (DTV)
  • 1973 erster Vorstoss im Gemeinderat wegen unzumutbaren Luftschadstoff- und Lärmimmissionen
  • 1974 erste Sperrung der Westtangente durch die Quartiergruppe «Westtangente»
  • 1977 private Ummantelungsstudie, positive Beurteilung durch die Stadt
  • 1981 Schlussbericht «Überdeckung Westtangente» Nord- bis Lehenstrasse
  • 1982 Überbauungsstudie/Struktur- verbesserungen, private Initiative Architekten
  • 1983 Einzelinitiative Gassmann für Untertunnelung Bucheggstrasse
  • 1984 Lancierung Westtangenten-Initiative des VCS Zürich; knapp 70 000 Fahrzeuge/Tag
  • 1985 Nordumfahrung und Milchbuck- tunnel gehen in Betrieb; knapp 50 000 Fahrzeuge/Tag
  • 1986 Westtangenten-Demo des Kur- und Verkehrsvereins Wipkingen zur Übergabe der Petition «Westtangente muss abspecken»
  • 1988 deutliche Ablehnung der West- tangenten-Initiative des VCS
  • 1991 Studie für einen Waidhaldentunnel, i.A. TAZ
  • 1995 60 000 Fahrzeuge/Tag
  • 1997 25 Jahre Westtangente, 25 Stun- den Ruhe und 25 Massnahmen an der Westtangente
  • 1997 Petition des Rosengartenforums an den Stadtrat «zur Reduktion der Verkehrsbelastung auf der Westtangente in Zürich»
  • 2000 Motion Andreas Türler (GR Nr. 2000/66) fordert Eintrag Käferbergtunnel im regionalen Richtplan; TAZ ablehnend, da kaum entlastend
  • 2000 66000 Fahrzeuge/Tag
  • 2003 Sperrung der Westtangente während 31 Stunden
  • 2007 IG WesttangentePlus lanciert 2 Volksinitiativen für eine sofortige Beruhigung des Nordastes der Westtangente und ein Rosengarten-Tram
  • 2009 Nach Eröffnung der Westumfahrung von Zürich werden die vom VCS und der Stadt erstrittenen flankierenden Massnahmen umgesetzt und der südwestliche Teil der Westtangente zurückgebaut (West-/Sihlfeldstrasse)
  • 2010 deutliche Ablehnung der beiden Initiativen bzw. des Gegenvorschlags des Gemeinderats (Rosengartentram)
  • 2013 Kanton und Stadt legen die Gesamtstudie Rosengartentram und Waidhaldetunnel vor
  • 2020 Die 1,1 Milliarden teure Vorlage wird mit 63% Nein-Stimmen abgelehnt, Wipkingen lehnt mit über 70% Nein ab; knapp 60 000 Fahrzeuge/Tag
  • 2021 verschiedene Vorstösse im Gemeinde- und Kantonsrat fordern Sofortmassnahmen und längerfristige Perspektiven; die RosengärtnerInnen, darunter Sepp Estermann und Simone Brander, zeigen anhand von Plänen wie die Westtangente zu einer Stadtstrasse zurückgebaut werden kann
  • 2022 das Ypsilon wird aus dem Nationalstrassennetz gestrichen, die Westtangente ist kein Provisorium mehr
  • 23. – 25. September 2022 Die IG WesttangentePlus sperrt die West- tangente für 50 Stunden. Sie wird dabei von rund 50 Organisationen unterstützt. Termin reservieren!

 

Der
Der "Rosengartentunnel" wird am 09.02.2020 klar mit 63 Prozent abgelehnt. Im Kreis 10 mit rund 75 Prozent.